Immer mehr Entscheidungen in Unternehmen werden auf Basis von Daten getroffen. Data Literacy wird deshalb zur entscheidenden Kompetenz. Um Mitarbeitende in Datenkompetenz zu schulen, investieren Unternehmen zunehmend in Data Literacy-Konzepte. Christian Schneider, Bereichsleiter Data & Analytics bei der QuinScape GmbH, diskutiert im Interview, wie sich Data Literacy in eine gelungene Datenstrategie einfügt und beleuchtet Erfolgsrezepte genauso wie Fallstricke als Unternehmen data driven zu werden.

 

Christian Schneider, Bereichsleiter Data & Analytics bei QuinScape, im Interview (Foto: Julia Nickel)

Data Literacy in Unternehmen: Erfolge und Stolpersteine

In Deinem Vortrag bei der diesjährigen TDWI sprichst Du sehr provokant über Bullshit und Bias bei Data Literacy-Initiativen. Worauf spielst Du an?

Data Literacy oder Datenkompetenz in Unternehmen hineinzubringen ist momentan sehr en vogue. Viele Unternehmen, die sich in Richtung „data driven“ bewegen, versuchen aus eigener Kraft heraus Datenstrategien zu entwickeln, wozu auch die Schaffung von Datenkompetenz gehört.

Doch Datenkompetenz bei den Mitarbeitenden aufzubauen, geht meistens mit einem Kulturwandel im Unternehmen einher. Da ist es hilfreicher, dies mit erfahrener Begleitung zu tun. Was wir in unseren Projekten beobachten, ist, dass „data driven” für viele Unternehmen heißt, allen Mitarbeitenden die Arbeit mit Daten nahezubringen und möglichst viele Daten zur Verfügung zu stellen. Das führt oft zu dem Punkt, an dem Unternehmen über das Ziel hinausschießen und die Dinge anfangen, schief zu laufen.

Datendemokratisierung vs. Gezielte Datenbereitstellung: Kluger Umgang mit ‚data driven‘

Was genau ist dabei das Problem? Mit welchen Erwartungen gehen Unternehmen an solche Initiativen heran und was versprechen sie sich davon?

Initiativen, data driven zu werden, sind für Unternehmen mit einem signifikanten Investment verbunden. Verständlicherweise soll sich ein solches Investment dann auch auszahlen. Es ist wie mit einem neuen Auto: Man fährt viel, um das Gefühl zu haben, dass der Wagen von echtem Nutzen ist. Doch ein datengetriebenes Unternehmen zu sein, bedeutet eben nicht, dass ich allen Mitarbeitenden möglichst viele Unternehmensdaten gebe. Das ist oft falsch verstandene Datendemokratisierung.

Wenn ich als Mitarbeiter mit zu vielen Daten konfrontiert werde, aber eigentlich gar nicht weiß, was für mich relevant ist, unterliege ich oft dem „FOMO“, dem Phänomen der „Fear of missing out”. Das heißt, ich verschwende viel Zeit damit, mir alle möglichen Daten anzuschauen, in der Hoffnung, daraus möglichst schnell viele Erkenntnisse zu ziehen.

Data driven zu sein heißt aber vielmehr, Daten gezielt für bestimmte Prozesse aufzubereiten und zur Verfügung zu stellen. Um nun auf Basis dieser Daten bessere Entscheidungen zu treffen, ist es wichtig, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dahingehend zu schulen, kritisch und kompetent mit Daten umgehen zu können.

Genau hier setzen erfolgreiche Data Literacy-Initiativen an, nämlich Menschen in die Lage zu versetzen, kritisch mit Daten umzugehen, um dann im Idealfall bessere Entscheidungen zu treffen.

Worin genau besteht denn die Gefahr, mit zu vielen Daten konfrontiert zu sein?

Hier kommt oft der psychologische Effekt der „tyranny of small decisions” zum Tragen. Das ist dann der Fall, wenn man zu schnell zu viele Detaildaten bekommt und schon auf strategischer Ebene anfängt, Entscheidungen im Kleinen anzupassen. Je mehr kleine Entscheidungsmöglichkeiten man hat, desto häufiger neigt man dazu, den Kurs immer nur ein bisschen zu drehen. Doch wenn man den Kurs häufig minimal anpasst, kann es am Ende passieren, dass man vom eigentlichen Kurs abkommt.

Das heißt, zu viele Daten darzustellen, in der Hoffnung, die komplette Sicht auf den Datenbestand zu haben, ist meistens kontraproduktiv. Besser ist es, die Daten aufs notwendige Maß zu destillieren. Erst, wenn für eine Entscheidung weitere Daten benötigt werden, ist ein Blick in die große Box sinnvoll. Aber nicht vorher, weil es eventuell dazu verleitet, kleine Entscheidungen zu treffen, die vom eigentlichen Ziel wegführen.

Data Governance als Leitplanke für datenbasierte Entscheidungen

Christian Schneider (Foto: Julia Nickel)

Also sollte Data Literacy schon dort ansetzen, kritisch entscheiden zu können, welche Daten für meine Entscheidungen wichtig sind?

Genau. Da befinden wir uns dann im Bereich der Data Governance. Hier finde ich das Bild von Data Governance als Leitplanken sehr passend. Leitplanken bedeuten keine Einschränkung, sie sind vielmehr dafür da, ein Unglück zu vermeiden, und nicht von der Straße abzukommen.

Diese Funktion hat die Data Governance innerhalb einer Datenstrategie. Jeder Bereich eines Unternehmens braucht seine Daten. Dies zu definieren, ist in vielen Unternehmen häufig schon geregelt. Was oft noch nicht funktioniert, ist, bereichsübergreifend Daten zur Verfügung zu stellen, wo sie benötigt werden.

Am Ende geht es darum, fundierte Entscheidungen zu treffen auf Basis einer Datenlage, der ich vertrauen kann, und dabei den eigentlichen Entscheidungsprozess effizienter zu gestalten. Hier sehen wir in Projekten oft die Sorge vor zusätzlichem Aufwand zur alltäglichen Arbeit, indem Mitarbeitende den Umgang mit neuen Tools oder Daten generell lernen müssen.

Ineffizienz geschieht aus unserer Sicht nur dann, wenn Daten ohne ein begleitendes Konzept bereitgestellt werden und so psychologische Effekte wie Überforderung oder auch Machtverlust bei Mitarbeitenden hervorrufen können.

Man muss sich immer wieder bewusst machen, dass es sich hierbei um einen kulturellen Wandel handelt, mit dem man verantwortungsvoll umgehen muss. Dabei helfen eine Datenstrategie als Fahrplan mit klarem Ziel, eine Data Governance als Leitplanken, um nicht vom Weg abzukommen und Data Literacy als Führerschein, um möglichst unfallfrei datenbasierte Entscheidungen zu treffen.

Die vier Phasen der datengetriebenen Transformation

Wie sieht für Dich ein optimaler Start aus, um als Unternehmen data driven zu werden?

Unternehmen stecken jeden Tag viel Geld in Daten, in die Erfassung, die Speicherung und die Pflege. Es galt lange das Prinzip, einfach alles an Daten zu speichern, was möglich ist. Speicherplatz kostet schließlich nichts. Die dann ungenutzten Daten nennt man in der Szene „Dark Data“. Ihr Anteil ist nicht unerheblich.  Die Art und Weise, wie Unternehmen mit Daten als Wirtschaftsgut umgehen, muss sich grundlegend ändern.

Wir unterteilen den Prozess dahin in vier Phasen. Die erste Phase ist eine Bestandsaufnahme, eine Inventur. Hier sehen wir unterschiedliche Reifegrade in Unternehmen: von denen, die sich noch gar nicht damit beschäftigt haben, bis zu solchen, die schon ihre Datensilos identifiziert haben und darüber hinaus.

Die zweite Phase umfasst die Definition einer Datenstrategie. Dazu gehört auch der stufenweise Aufbau einer Data Governance und eines Data Literacy-Konzepts. Die dritte Phase ist die der Umsetzung, sowohl der technischen als auch der organisatorischen. Schließlich die vierte Phase, gerne vergessen: das Operative, also das Beibehalten der Qualität, die in den ersten drei Phasen erreicht wurde, durch einen kontinuierlichen Prozess.

Gerade hier ist Datenkompetenz ein entscheidender Faktor, um die Datenqualität hinterfragen zu können. Dies muss nicht von allen Mitarbeitenden gleichermaßen verlangt werden. Hier können Unternehmen gezielt Data Communities aufbauen, die diese Rolle übernehmen.

Der Leuchtturmansatz: Überzeugung durch konkrete Ergebnisse

Hast Du ein Beispiel aus der Praxis, wie so etwas gut angegangen wurde?

Was sehr gut funktioniert, ist, mit einem Leuchtturmprojekt zu starten. Solch ein Projekt hat den Effekt, die Menschen im Unternehmen zu überzeugen, weil konkrete positive Effekte gut sichtbar werden. In einem Fall haben wir Daten aus der klinischen Forschung gemeinsam nutzbar gemacht, so dass die Datenqualität durch Automatisierung gestiegen ist und die Wertschöpfung durch die vorher nicht integrierten Daten dazu führte, dass immer mehr Abteilungen partizipieren wollten.

Die Menschen von Anfang an mitzunehmen, ist sowieso das Entscheidende, wenn es um einen kulturellen Wandel geht. Was wir in unseren Projekten deshalb immer als Ziel haben, ist die intrinsische Motivation von Mitarbeitenden, teilzunehmen. Ob das funktioniert, hängt dabei sehr stark vom Willen und der Kultur eines jeden Unternehmens ab.

Anfangs gibt es fast immer einen gewissen Grad an Ablehnung, weil Veränderung oft nur aus der Not heraus entsteht und diese Not nicht für jeden sofort ersichtlich ist. Wie in dem Beispiel oben, muss jemand den Mut haben, den ersten Schritt zu gehen. Wenn ich dann als Mitarbeiter aber merke, dass die Veränderung einen positiven Einfluss auf mich hat, wird aus Interesse oftmals eben der Wunsch, am Wandel aktiv teilzunehmen.

Das ist der Effekt, den wir mit den Leuchttürmen erreichen. Transparente und offene Kommunikation ist dabei natürlich essentiell.

Data Literacy als Schlüssel zur datengetriebenen Zukunft

Christian Schneider (Foto: Julia Nickel)

Welche Rolle spielt hier Technologie?

Die Wahl der Technologie hängt stark von der Art des Unternehmens ab. Ein produzierendes Unternehmen benötigt andere Werkzeuge als ein Beratungshaus. Dabei sind Technologien für uns Werkzeuge, um das Ziel zu erreichen, data driven zu werden. Andersrum funktioniert es nicht, zu sagen: Ich nutze dieses Tool, also bin ich data driven.

Wann ist denn ein Unternehmen data driven?

Wir gehen mit einer einfachen und plakativen Metrik in die Beratung, aus der sich viele Fragen ergeben: Data driven ist ein Unternehmen dann, wenn die Daten im Unternehmen nicht mehr in jedem Meeting angezweifelt werden müssen, bevor man Entscheidungen trifft.

Natürlich ist ein kritischer Umgang mit Daten und das Hinterfragen ihrer Bedeutung nach wie vor wichtig. Doch hier geht es um eine Datenqualität, die nicht mehr infrage gestellt werden muss, sondern die Menschen in die Lage versetzt verlässlich Entscheidungen zu treffen. Data driven zu sein, bedeutet, die zur Verfügung stehenden Daten schnell und sicher zu nutzen.