Um die Agilität von Unternehmen zu messen, hat die Personal- und Managementberatung Kienbaum den Kienbaum Agility Index entwickelt. Dieser Index setzt sich aus acht Dimensionen zusammen, die jede für sich eine hohe Hebelkraft für eine erfolgreiche Transformation besitzen: Agile Methoden & Prinzipien, Agile Prozesse, Agile Steuerung, Agile Organisationsstruktur, Agile Kultur, Agile Rollen, Fähigkeiten & Kompetenzen, Technische Umgebung und Incentivierungssysteme. Die Analyse mit Hilfe des Agility Indexes zeigt, wo die größten Stärken und Schwächen liegen. Am stärksten agil ausgerichtet sind gemeinhin die IT-Prozesse – insbesondere Softwareentwicklung –, Methoden sowie IT-Rollen. Hier haben deutsche IT-Organisationen den Schwerpunkt für ihre Transformationsanstrengungen gelegt und erste Erfolge erzielt. Schwachstellen und blinde Flecken offenbaren sich Kienbaum zufolge in den Bereichen technische Umgebung, die Kompetenzen der Führungsmannschaft, agile Steuerung und Incentivierungssysteme.

An dieser Stelle wollen wir einen Blick auf die IT-Seite werfen. Es gilt: Die Komplexität von Projekten nimmt nicht zuletzt aufgrund wechselnder Rahmenbedingungen und einer sich beschleunigenden Erwartungshaltung an die IT-Abteilung zu. Deloitte zufolge kämpfen 65 % der Fortune 500 Unternehmen, um mit dem technischen Wandel Schritt zu halten. Ich bin mir sicher: Das ist aus Sicht der IT eine deftige Untertreibung. Die Situation ist kritischer, denn alles, was digitalisiert, vernetzt und automatisiert werden kann, wird in Hochgeschwindigkeit realisiert (Karl-Heinz Land, Evangelist in Sachen Digitalisierung ) wird nicht müde, dies zu betonen. Beispiele für das Verschwinden einst stattlicher, vermeintlich unantastbarer Unternehmen gibt es in Hülle und Fülle. Sie waren schlicht nicht schnell genug in der Transformation. Für die Unternehmens-IT bedeutet dies: Eine schnelle, inkrementelle Lieferung von Resultaten ist die passende Antwort auf die Herausforderungen. Nur eine IT, die sich nachdrücklich agiler Methoden und Technologien setzt, ist in der Lage, die immer wieder neuen Prioritäten des Lines-of-Business umzusetzen.

Update-Zyklen beschleunigen

Was Geschwindigkeit, Flexibilität und „lean movement“ bedeutet, zeigt vorbildlich ein Unternehmen wie Amazon, dass massiv auf ein kontinuierliches build, test and integrate setzt (DevOps). Schon in 2011 hat Amazon ungefähr 7.000 Software-Updates am Tag (!) ausgeliefert (deploys). In 2015 waren es bereits 130.000 am Tag. Im Jahre 2017 brachte es Amazon auf die unvorstellbare Menge an 50 Millionen Deployments am Jahr. Diese unfassbare Agilität ist ein Garant für ständig optimierte Angebotspräsentationen, eine extrem schnelles Time-to-Market und eine vorbildliche Produktivität. Und nur so ist der Erfolg von Amazon erklärbar.

Natürlich verschieben sich auch in deutschen Unternehmen die Release-Zyklen von langfristigen hin zu kurzfristigen Zeitfenstern. Individualanwendungen sollen künftig deutlich häufiger aktualisiert werden. Die Anzahl der Unternehmen, die lediglich ein- bis dreimal pro Jahr (!) aktualisieren, ging Kienbaum zufolge stark zurück. Inzwischen stellt mehr als jedes siebte Unternehmen wöchentlich und fast jedes vierte monatlich Updates seiner Individualanwendungen bereit. Die Mehrheit strebt ein Update pro Monat oder pro Woche an und hat demnach einen erheblichen Änderungsbedarf. Die optimale Update-Frequenz muss sich natürlich nach an Anforderungen des Marktes ausrichten. Auf Dauer, so die Erwartung, werden die meisten Anwendungen voraussichtlich einmal in einer bis drei Wochen aktualisiert, allerdings sind ist der Bedarf für Kundenportale schon wesentlich höher mit Aktualisierungen mehrmals am Tag.

Erst am Beginn eines steinigen Weges

Wie bereits ausgeführt, setzen agile Organisationen auf die Kreativität interdisziplinärer und selbstorganisierter Teams. Diese Arbeitsweise kann letztlich nur Erfolg haben, wenn die gesamten Unternehmenskultur Agilität „atmet“ – und nicht nur in Teilbereichen wie etwa der IT gelebt wird. Allerdings ist der Weg von der klassischen zu einer agilen Kultur steinig und es verwundert nicht, dass sich nach den Resultaten der Kienbaumstudie in 2016 lediglich 15 Prozent der befragten Unternehmen als „agile Champions“ und „agile Praktiker” bezeichnet haben – und nur fünf Prozent der IT-Organisationen als vollständig agil aufgestellt. Obwohl rd. 86 Prozent der Befragten davon ausgehen, dass agile Methoden in Zukunft häufiger eingesetzt werden, ist die Nutzungsquote in den letzten 12 Monaten kaum gestiegen. Wesentlicher Grund: sie haben Probleme damit, ihre Kultur, die Organisationsmuster und die Kompetenzen ihrer IT-Mannschaft entsprechend auszurichten.

Fasst man aktuelle Berichte aus Unternehmen zusammen, so liegt diese Schlussfolgerung nahe: Deutsche IT-Organisationen befinden sich noch in der ersten Phase auf ihrem Weg hin zu einem agilen Unternehmen. Es fehlt, wie Kienbaum formuliert, an einer „tiefen organisatorischen Einbettung“. Die Gründe sind weniger ein Perfektionsanspruch und eine gewisse Planungsfixierung „made in Germany“, sondern eine durchaus ja auch bewährte organisatorische Schwerkraft, die es schwer macht, agile Arbeitsweise mit althergebrachten Organisationsmodellen zusammenzubringen. Letztlich müssen Mitarbeiter in allen Unternehmensbereichen und auf allen Ebenen von der Notwendigkeit dieses Weges überzeugt werden. Erforderlich sind hierbei eine ausgeprägte Methodenkompetenz sowie ein klares Verständnis für agile IT-Rollen und agile Führung entwickeln.

Dass sich Wandel auszahlt, zeigt die Kienbaum-Studie: Neun von zehn IT-Organisationen, die nach agilen Prinzipien arbeiten, ihre Lieferzeiten deutlich verbessert. 60 Prozent der befragten Unternehmen erzielen mit agiler IT signifikante Verbesserungen bei der Kundenzufriedenheit.