Der Weg zum agilen Unternehmen – Agility Classified

Wer bezeichnet sich heute eigentlich nicht als agil? Agilität – ein wirklich schillernder Begriff, der sich nahezu falsifizierungssicher für alles Mögliche vereinnahmen lässt. Es lohnt, seine Bedeutung zu präzisieren und zu besprechen, welchen Beitrag eine agile Unternehmens-IT für ein erfolgreich am Markt handelndes Unternehmen liefern muss. 

Bekanntermaßen verändern sich die Bedingungen für unternehmerisches Handeln dramatisch. Neben politischen und rechtlichen Ursachen ist hierfür vor allem die exponentiell verlaufende technologische Entwicklung ursächlich. Aus Sicht der Softwaretechnologie erzwingen Imperative wie Analytics und KI, Cloud, IoT und Big Data, DevOps und API-Programmierung oder Blockchain-Technologie – um nur einige Treiber zu nennen – eine schnelle Weiterentwicklung der IT-Strategie. Die im Vergleich zur alten IT-Welt notwendige agile Ausrichtung ist ein, besser: der zentrale Hebel für wirtschaftlichen Erfolg.

Vor diesem Hintergrund möchten wir in vier zusammenhängenden Blog-Beiträgen die folgenden Aspekte diskutieren:

a) Agility Classified – Was meint der Begriff „Agilität“ eigentlich genau?
b) Wo stehen deutsche Unternehmen auf einer nach oben hin offenen Agilitätsskala?
c) Agile Softwareentwicklung – von einer monolithischen Architektur zu flexiblen Plattformen und Low/No-Code-Werkzeugen
d) Konsequenzen für die interne Organisationgestaltung.

Was meint der Begriff eigentlich genau? 

Die landläufig publizierte Meinung lässt keinen Zweifel daran aufkommen, dass Agilität eine Art Schweizer Messer ist, also die Lösung für fast alle Unternehmensprobleme. Hierarchien und Routineprozesse sind out, da zu langsam und innovationsfeindlich. „Mehr Startup-Kultur“, oft als Synonym, mindestens aber als Hebel für Agilität betrachtet, ist das neue Mantra. Vage bleibt dabei, was der Begriff „Agilität“ im Kontext von Unternehmens- und Softwareentwicklung umfasst. 

Zentraler Meilenstein für die Software-Welt war zweifellos das Manifest für agile Softwareentwicklung aus dem Jahr 2001 (Agile Manifesto). Kerngedanke sind vier Grundprinzipien:

  • Individuen und Interaktionen haben Vorrang vor Prozessen und Werkzeugen
  • funktionsfähige Produkte haben Vorrang vor ausgedehnter Dokumentation
  • eine Zusammenarbeit mit dem Kunden hat Vorrang vor komplexen Verträgen
  • Reagieren auf Veränderungen steht vor dem Befolgen eines großen Plans.

Essentielle Elemente des so verstandenen agilen Handelns sind Selbstorganisation, Einfachheit, Entscheidungen durch das Projektteam und Transparenz. Impliziert sind weiterhin Aspekte wie Schnelligkeit, Anpassung, Flexibilität, Dynamik, Vernetzung und Vertrauen. Letztlich handelt es sich um ein komplexes und auf einem modernen Menschenbild beruhendes Organisationsparadigma, dass mit der exponentiellen Entwicklung der technologiegetriebenen Welt korrespondiert. Agile Softwareentwicklung muss im Kontext gesehen werden mit Ansätzen wie Lean Production, Kanban, Rapid Prototyping u. ä. Heute stehen mit Industrie 4.0 und digitalen Zwillingen (Cyber-physikalische Systeme) wegweisende Konzepte für eine horizontale und vertikale Integration aller Unternehmensbereiche im Raum, die softwareseitig gleichermaßen belastbar wie variabel ausgestaltet werden müssen.

Am Ende geht es um die systematische Transformation von Unternehmensbereichen und kompletten Unternehmen im Zeitalter ubiquitärer disruptiver Technologien. Ohne eine agilere Ausrichtung der gesamten Organisation ist eine erfolgreiche Umgestaltung und Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit kaum denkbar. Neben der technologischen Agilität geht es daher um Personalflexibilität im Sinne gut ausgebildeter und vielfältig einsetzbarer IT-Mitarbeiter und das, was im englischen Sprachraum als Agile Leadership bezeichnet wird. Agilität in diesem ganzheitlichen Sinne muss folglich als sozio-technologische Beweglichkeit in der gesamten Organisation aufgefasst werden.

Agilität als Schweizer Messer?

Gleichwohl steht ein großes ABER im Raum: Aber muss es denn wirklich immer und überall agil sein, d. h. geht es nicht auch herkömmlich „schlicht-strukturiert“? Eine generelle Antwort bietet das idealtypische Schema von Ralph Douglas Stacey. Demzufolge sind bei Routine- bzw. immer wiederkehrenden Aufgaben – also bei klaren Zielen, Randbedingungen und Umsetzungswegen – agile Herangehensweise oftmals nicht sinnvoll bzw. ohne Wirkung. Anders ist es jedoch, wenn die Aufgabe kompliziert ist, also Ziel oder Weg noch recht unklar sind oder gar „chaotische“ alle drei Aspekte nicht klar ausformuliert sind. Mit anderen Worten: Die Zeit für eine agile Herangehensweise ist immer dann gegeben, wenn wir uns von einem scharf definierten Ziel, einer präzisen Spezifikation oder wohlbekannten Lösungswegen entfernen. Und Hand aufs Herz: Wo finden wir in der Entwicklung auch nur halbwegs anspruchsvoller Softwarelösungen „simple Bedingungen“ vor?

 

Stacey Matrix zur Bestimmung von agilen Methoden

Wir kommen auf die Frage „wieviel Agilität braucht die IT“, später noch zurück.