Nach den technologischen Basics von Blockchains (Teil I) und einem Blick auf das Potential von Smart Contracts für Unternehmen (Teil II), geht es im dritten Teil unserer Beitragsreihe „Cut out the Middleman“ darum, Smart Contracts im industriellen Kontext anhand einiger Use Cases zu beleuchten.

 

 

Was die Analysten erwarten

Smart Contracts stehen für Datenintegrität und Vertrauen. Der Clou: Vertrauen zwischen Vertragspartnern braucht es nicht, da die Mechanismen der Blockchain genau dieses Vertrauen schaffen (trustless bzw. maximizing trust by distributing trust). Dieses Alleinstellungsmerkmal eröffnet erhebliche Implikationen.

Aus wirtschaftlicher Perspektive bieten Blockchains und Smart Contracts ein riesiges Potential. Der „Global Blockchain Market Report 2021“ geht von einem Marktwachstum von 4.9 Milliarden US-Dollar in 2021 auf 67.4 Milliarden USD bis 2026 aus, was einer durchschnittlichen jährlichen Wachstumsrate (CAGR) von 68.4 Prozent entspricht.

Gartner hat errechnet, dass die Blockchain der Weltwirtschaft bis 2026 einen Wert von 360 Mrd. USD hinzufügt. Bis 2030 sollen es sogar 3,1 Billionen sein. Andere Experten erwarten, dass in der nächsten Dekade 10 bis 15 Prozent der weltweiten Infrastruktur auf Blockchain-Technologie beruhen.

Smart Contracts an Beispielen aus der Industrie

Die nachfolgenden Beispiele stehen für eine Fülle an Proofs of Concepts, Pilotprojekten und auch real-world Anwendungen. Es ist dabei zu erwarten, dass überwiegend private, also zugangsbeschränkte Blockchains zum Einsatz kommen.

 

„Selling trust“ in der Lebensmittelindustrie

Experten schätzen, dass etwa 15 Prozent aller verkauften Nahrungsmittel gefährliche Fälschungen sind mit falschen Gewichtsangaben, Neuetikettierungen des Ablaufdatums oder falscher Deklaration (Bio-Ware etc.). Es liegt nahe, Sensorinformationen über die gesamte Entstehungs- und Logistikkette hinweg in einer Blockchain zu speichern und über ein Smart Contract basiertes Track & Trace vollständige Transparenz zu gewährleisten. Gleichzeitig ließen sich Zoll, Versicherungs- oder Versanddokumente ein gutes Stück überflüssig machen.

Jedem Teilnehmer in einem AgroFood-Blockchain-Netzwerk (vom Bauernhof bis zum Küchentisch des Konsumenten) kann Zugriff auf das shared ledger als single source of truth gegeben werden, um die volle Transparenz z. B. über die Kühlzustände oder Start-/Ankunftszeiten über die gesamte Lieferstrecke hinweg zu bieten.

Das Zusammenspiel von Blockchain, Social Contract und IoT-Plattformen (wie etwa Siemens MindSphere) ist hier wegweisend: Wesentliche Daten werden in der Blockchain gespeichert, Social Contract-Mechanismen implementieren das Zusammenspiel der Akteure und auf die übrigen Daten kann aus Gründen der Datensparsamkeit auf eine sichere private Cloudspeicherung verlinkt werden.

Es wundert nicht, dass der globale Markt für die Blockchain in Food & Agriculture für 2028 auf 1.4 Mrd. USD geschätzt wird und anzunehmen ist, dass es sich nach 2025 um eine „mainstream technology“ handelt.

Datenaustausch als Treiber industrieller Geschäftsmodelle

Der Datenaustausch wird zu einem Treiber vieler industrieller Geschäftsmodelle. Die Öffnung von Data Warehouses und Data Lakes für Partner, Lieferanten etc. kann erhebliche Wettbewerbsvorteile schaffen.

Mit der Frage, wie ein vertrauensvoller Datenaustausch automatisiert werden kann, beschäftigt sich seit längerem der International Industrial Data Space (IIDS). Unter anderem geht es um Mechanismen für

  • Datensouveränität, d. h. der Datenbesitzer soll die Regeln und Bedingungen für die Nutzung seiner Daten bestimmen können,
  • Vertrauen, d. h. alle Teilnehmer, Datenquellen und -dienste sollen eine vertrauenswürdige Qualität aufweisen.

Neben industriellen Daten stehen beim IIDS auch Mobilitäts- und Gesundheitsdaten im Fokus. Es liegt auf der Hand, dass Smart Contracts einen ganz entscheidenden Beitrag zum vertrauensvollen Austausch von Daten (as an asset) leisten können.

 

 

Weitere Use Cases für Smart Contracts in der Industrie

Walmart hat in Zusammenarbeit mit Nestle, Dole, Unilever und Tyson Foods begonnen, mit Smart Contracts und Blockchains zu experimentieren, und konnte in Pilotprojekten für Logistik erhebliche Einsparungen nachweisen. Verfolgt werden auch Ideen zur Analyse der Lieferverlässlichkeit, so dass Pönale im Falle von Verzögerungen automatisch greifen.

Georgien ist eines der weltweit ersten Länder, das das Potenzial der Blockchain-Technologie auf den öffentlichen Sektor überträgt. Seit 2017 verwendet die Nationale Agentur für das Öffentliche Register – das georgische Grundbuchamt – bei der Übertragung von Grundstücken und der Erstellung von Grundbuchauszügen die Blockchain-Technologie.

Ideen für automatisierbare Vertragsverhältnisse betreffen u. a.

 

  • selbstfahrende Taxis, die ihre Leistung mit Nutzern selbständig abrechnen,
  • die automatische Abwicklung von Mieten für Ferienwohnungen, Fahrräder etc. via Smartphone oder
  • die automatische Anforderung von Serviceleistungen durch vernetzte Maschinen.

 

Schon fast ein Standard sind NFTs (siehe auch Teil II) und Smart Contracts in der Gaming Industry.

 

Einstieg für Unternehmen mit Blockchain as a Service

Abschließend bleibt zu thematisieren, wie sich Unternehmen konkret auf die Blockchain-Reise begeben können. Das zentrale Stichwort lautet BaaS – Blockchain-as-a-Service.

Mit BaaS müssen sich Unternehmen nicht um Protokolle, Monitoring etc. kümmern, sondern sie können sich mit wenig Aufwand Anwendungen über ein Blockchain-Netzwerk erstellen. Aus der Fülle an Optionen sind nur beispielhaft genannt:

  • AWS bietet die Ausführung ihres Blockchain-Netzwerkes “Quantum Ledger Database” auf Ethereum und der Hyperledger Fabric an.
  • IBM setzt auf die Hyperledger Fabric, ein Open-Source-Projekt der Linux-Foundation; dieser als privates Netzwerk ausgeprägter Blockchain-Ansatz bezeichnet sich als „enterprise-grade DLT“ mit plug-and-play Komponenten, etwa für Konsensusbildung, Privacy und Membership Services. Neu ist ein Multi-Party Ansatz mit real-time Analytics, Reporting and Supply Chain Management.
  • Die Intel Neuromorphic Research Community (INRC) arbeitet an der Entwicklung eines Blockchain-basierten neuromorphic computing chips.
  • Huawei ermöglicht mit dem Blockchain Service 2.0 (BCS 2.0) 50.000 Transaktionen/Sekunde und empfiehlt sich für sog. large-scale blockchain networks.

Die Technologie ist in einer Phase der schnellen Entwicklung. Hier sollte nur angedeutet werden, dass Blockchain-Anwender erhebliche Unterstützung bekommen – aber wie stets ist die Auswahl des geeigneten Technologiepartners alles andere als trivial.

Zusammenfassung

Es scheint, dass die meisten erfolgreichen Implementierungen bisher auf privaten Blockchains stattgefunden haben. Dies ist vermutlich deshalb so, weil Unternehmen die Kontrolle darüber haben wollten, wer teilnehmen kann.

Experten betonen, dass die Blockchain-Technologie und Smart Contracts ihr Potential noch lange nicht entfaltet haben. Am Ende des Tages dürfte gelten: „The blockchain never was supposed to be cheap – the blockchain is supposed to be safe!“

 


 

Dr. Norbert JesseDr. Norbert Jesse

Geschäftsführer, QuinScape GmbH

Neben der Geschäftsführung bei QuinScape – mit Schwerpunkten in den Bereichen Wissensmanagement, Big Data und Internet of Things – ist der zweifache Familienvater Lecturer an der TU Wien und Visiting Professor an der University for Business and Technology (UBT) in Pristina, Kosovo. Viele Jahre war Norbert Jesse aktiv als Vice-President der Federation of International Robot-Soccer Association.